Deutschland und die Türken

Moin!

Ich muß da mal was loswerden. Am WoE bekam der Schriftsteller Orhan Pamuk für sein literarisches Werk den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In allen Zeitungen, von der taz bis zur FAZ wird über ihn, sein Werk, aber hauptsächlich über das Verhältnis Deutschlands zu den Türken gesprochen. Natürlich offenbart sich dort das úbliche Spektrum: Während die FAZ Orhan Pamuk schlicht Opportunismus vorwirft, jubelt der Spiegel über multikulturelle Brückenschläge . Wie so oft sind die Reaktionen extrem und meiner Ansicht nach unangemessen.

Orhan Pamuk ist in der Türkei ein sehr populärer und angesehener Autor. Natürlich bringt das auch eine große Gruppe von Leuten mit sich, die ihn nicht ausstehen können. Wahrscheinlich geht es Günter Grass hierzulande genauso. Nun ist es aber nicht so sehr sein literarisches Werk, was im Zusammenhang mit der Friedenspreisverleihung zu einem recht großen Echo in der deutschen Tagespresse geführt hat, vielmehr sind es seine Äußerungen zu dem Völkermord an den Armeniern und die Unterdrückung der Kurden. So vorsichtig und schwammig seine Aussagen zu diesen Themen auch sein mögen, es ist wichtig und richtig, dass er beide angesprochen hat. Dies als ein taktisches Manöver zur Erlangung des Friedenspreisess oder gar des Literaturnobelpreises zu interpretieren, ist ein trauriger Versuch, einen Schriftsteller zu diskreditieren, der zur Zeit auf sehr dünnem Eis balanciert.

Doch geht es natürlich um weitaus mehr als nur um einen türkischen Autor, der einen Preis erhält: Wiedereinmal dreht sich das Rad der europäischen Politik um die türkische EU Mitgliedschaft. Was mich an jener Diskussion jener stört, ist die Tatsache, dass die Defizite der türkischen Demokratie, die existieren und zu Recht thematisiert werden müssen, in diesem Zusammenhang immer als eine typische Eigenart der Türkei dargestellt werden. Als ob die Türkei ethnisch prädispositioniert ist, eine Regierungsform zu generieren, die nie westlichen bzw. internationalen Standards genügen kann. Außerdem braucht es meist keine zwei Sätze, bis wieder die üblichen Ressentiments zu Felde geführt werden: “Die wollen unser Geld, die wollen alle hierher kommen, aber unsere Gesetze sind denen egal.” Und wenn dann auch noch diese Gesetze oder “Standards” mit christlichen Werten gleichgesetzt werden, ist der Reigen der Borniertheit vollständig. Was ich mir wünsche ist eine deutsche oder europäische Politik, die die Türkei (und alle anderen Staaten dieser Welt, deren politische und gesellschaftliche Strukturen nicht freiheitlichen und demokratischen Grundsätzen genügen) ob ihrer Defizite offen konfrontiert, Kritik übt und Diskussionen anstößt, ohne dabei den Ballast einer chauvinistischen Weltsicht mit sich zu tragen. Gleichzeitig verbitte ich mir aber auch romatisierte Vorstellungen von multikulturellen Hurragesängen, die das Zusammenleben zwischen Völkern und Kulturen auf ein beliebiges und unverbindliches “beim Türken essen gehen” oder “einkaufen” reduzieren. Ich möchte eine offene, sachliche und zielgerichtete Diskussion sehen, die nicht in diese so typischen Extreme verfällt.

Um zurück zu Pamuk zu kommen: Ich selber habe “Schnee” gelesen. Die Hauptfigur ist ein türkischer Dichter, der aus politischen Gründen in Deutschland im Exil lebt und nach vielen Jahren zurück in seine Heimtstadt Kars kehrt, in der er mit seiner Vergangenheit und der Zukunft der türkischen Gesellschaft konfrontiert wird. Interessant find ich, wie Pamuk unterschiedlichste Menschen mit all ihren politischen, religiösen oder persönlichen Vorstellungen zu Wort kommen läßt. Die Hauptfigur ist ein Fremdkörper, der katalytisch auf die anderen Akteure dieses Dramas wirkt, so dass sie sich selbst und ihre Agenda offenbaren. Das Buch ist in jeder Hinsicht lesenswert!

So, genug. Wahrscheinlich hätte ich etwas mehr nachdenken sollen, bevor ich dies veröffentliche, aber das schöne am Internet ist ja, dass nichts einem Mindestmaß an Qualität genügen muß….

Liebe Grüße, Levent

PS: Die NZZ hat einen lesenswerten Artikel über die Preisverleihung, der die Dinge sachlich sieht und in Perspektive setzt.

3 comments

  1. roland’s avatar

    Ich werde wahrscheinlich Donnerstag in eine Lesung von ihm gehen,
    wenn ich noch Karten kriege. Berichte euch dann!

  2. Levent Demiroers’s avatar

    Wenn Du danach etwas darüber schreiben möchtest, können wir das gerne hier in den blog schmeissen!

    Gruß, Levent

  3. roland’s avatar

    tja dat war gor nix schon wochen vorher ausverkauft. Schade! Naechstes Mal

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