Brennende Botschaften zieren die Titelseiten von Boulevardblättern und seriösen Veröffentlichungen gleichermaßen. Viel ist im Rahmen der “Karikaturenaffäre” berichtet und kommentiert worden und obwohl ich eine deutliche, wenn gleich differenzierte Meinung habe, werde ich nicht der Versuchung unterliegen, meine insignifikanten Ergüsse dieser recht hitzigen Debatte hinzuzufügen.
Nein, stattdessen möchte das Augenmerk auf eine Diskriminierung, ja schamlose Ausgrenzung lenken, die vor unser aller Augen tagtäglich mit solch einer Inbrunst begannen wird, dass es himmelschreiend nach einem Kommentar an dieser auserwählten Stelle lechzt.
Nun sind wir uns alle bewußt, dass die wahrlich schrecklichen Verbrechen immer all jene sind, die in aller Öffentlichkeit und bei hellichtem Tage begannen werden. Hier blickt das Auge des Gesetzes immer weg, hier greifen nicht die Verteidigungsprinzipien wehrhafter Demokratien. Geradezu inhärent ist unseren freiheitlichen Strukturen, dass sie sich gegen jenen inneren Mißbrauch der garantierten Rechte und Privilegien nicht zu schützen weiß. Dies sind die Momente, in denen wir alle aufgerufen sind, die Sicherheit unseres Konsumschneckenhauses zu verlassen und mit breiter Brust auszurufen: “Bis hierher, aber nicht weiter!”
Welches Vergehen mag ich nun meinen? Was kann denn nur so aufrüttelnd sein, dass es in seiner Offensichtlichkeit schon beinahe wieder konspirativ wirkt? Was ist die große Schande, die ich bereit bin, hier und jetzt zu thematisieren? Was, um es kurz zu machen, sorgt für Fear And Loathing, Loathing And Fear, tausend- und aber tausendfach?
Es ist die Tyrannei der Pärchengesellschaft über den vereinsamten Single. Es ist die verdorbene Verachtung einer Zweisamkeit praktizierenden Zivilisation, die mit bohrendem Blick und erhobenem Zeigefinger in dem Alleinlebenden die Wurzel allen Übels zu wissen glaubt. Es ist die herablassende Entwürdigung gegenüber den Individualisten, die einer zum gemeinsamen Glück verordneten Lebensweise nicht gewachsen sind.
Und um die Ausweisung aus dem partnerschaftlichem Paradies zu perfektionieren, um in Petrushafter Manier das Tor zum Himmel auf ewig dem Nichtgebundenem zuzuschlagen, bedient sich das Establishment seiner perfidesten Waffe: dem Valentinstag!
Verkommen ist es passendes Wort, um die Verwerflichkeit dieses sogenannten “Tages der Liebe” zu charakterisieren. Die Botschaften, die in endlosen Litaneien in Funk, Fernsehen und Internet stetig wiederholt werden, sind unmißverständlich: Nur ein verpaarter Bürger ist ein guter Bürger! Denn wie sonst würde er an der an Reichhaltigkeit kaum noch zu übertreffenden Konsumlandschaft eine Zielperson, pardon, halber Teil eines Zielpärchens sein können? Wie könnte er sonst das Angebot an Herzen auf Grußkarten, Herzen aus Schokolade, Herzen auf Kleidung, Herzen in den Sand oder in den Himmel geschrieben, Herzen an Intimstellen, oder Blumengrüßen in herzensform genießen? Kräftig an der Konjunktur drehen, in dem er seinen Partner seine grenzenlose Zuneigung ausdrückt?
In diesem Schema ist der Single, der Einzelgänger immerzu ein Steppenwolf, immer ein Unruhestifter, ein Störenfried. Er ist es, der den sinn- und liebeslosen Konsum der Gutpärchen stört, Sand in das geölte Getriebe der vermarkteten Romantik streut, Salz auf den kaum verheilten Wunden einer im Selbstlug und -trug lebenden Gesellschaft ist. Ja, der Single gehört geächtet. Solange er noch rauchte, immens viel Benzin verbrauchte und früh an extremen Drogenkonsum starb, wurde er toleriert. Doch heute ist der Single ein gesundheitsbewusster Ökofreak, der die Kassen belastet und nicht einmal Tabaksteuer entrichtet. Die ausbleibende Kinderproduktion läßt die Renten wackeln und schließlich entzieht er sich noch wichtigen Schlüsselmärkten!
Doch der Valentinstag, in seiner emotionalen Grausamkeit kaum zu übertreffen, ist möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs. Denn welcher Alleinstehende ist beim täglichen Einkauf nicht verzweifelt, weil jedwede Nahrung nur in Pärchenportionen verfügbar ist? Wieso bekommem Pauschalreisende nur Doppelzimmer und müssen für Einzelzimmer Aufpreis zahlen? Wieso bezahlt man für zweisitzige Sportwagen, die man besser alleine fährt, mehr Steuern als für Familienpanzer? Und schlußendlich: Wieviel seelischen Schaden wird ihm zugefügt durch die mitleidigen Blicke und Bemerkungen, die eines ganz deutlich machen, nämlich das er ein menschliches Defizit aufweist, dass ursächlich für die Situation ist, in der er sich befindet.
Und da sind wir im Kern der Sache angelangt, der Diskriminierung schmerzlichster Facette: Allein sein als Ausdruck eines menschlichen Makels. Dies ist keine unterschwellige Botschaft, die auf Parties zwischen Pärchen unter vorgehaltener Hand geflüstert wird, oh nein, geschrien wird es von den Dächern der Machtmetropolen dieser Erde!
Es ist beschämend, es ist verlogen, aber es ist die traurige Wahrheit. Dies und nur dies wird am Valentinstag zelebriert. Dies erfüllt mich mit grosser Trauer…
Und daher werde ich mir nachher ein grosses Valentinsherz aus Schokolade schenken, um den Schmerz zu lindern…
Alleinigst, Euer Levent